Rede von Frau Luminita Sabau zur Vernissage am 04.07.2008 in Worms (es gilt das gesprochene Wort)

 





(Leiterin der Kunstsammlung der DZ BANK)


(Begrüßung, Dank)


Es gibt ja zwei Arten von Künstlern, diejenigen, die so gut wie nichts über ihre Arbeiten und ihr Schaffen sagen und diejenigen, die sich gerne und ausführlich äußern (Bsp. Joseph Beuys). Mit Klaus Binder und David Seiler haben wir es hier wohl mit der letzteren Art von Künstlern zu tun, wie sie es eben so eloquent und theoretisch versiert demonstriert haben. Was kann man dem noch hinzufügen?


Lassen Sie mich versuchen, einen Kontext für die beiden künstlerischen Ansätze aufzuzeigen, welche die Künstler, die sich gegenseitig vielfach angeregt haben, unter dem gemeinsamen Nenner der „Bewegung“ präsentieren. Der Kontext, den ich sehe, ist das fotografische Bild, mit dem ich mich seit vielen Jahren beschäftige. Immerhin heißt es bereits auf der Webseite: Der Maler und Graphiker Klaus Binder „fotografiere innere Bewegung“ und der Fotodesigner David Seiler „male Bilder von Lichtquellen“.


Das erste heute noch existierende Lichtbild der Welt, eine Aufnahme von Nicéphore Niépce aus dem Jahr 1826, zeigt den Blick aus seinem Arbeitszimmer auf die Hofgebäude seines Landsitzes im Dorf Saint-Loup-de-Varennes unweit von Chalon. Es ist eine Architektur-Fotografie. Die Belichtungszeit betrug acht Stunden. Die Reproduktion des in den fünfziger Jahren des 20 Jahrhunderts wiedergefundenen Lichtbildes gibt einen entstellenden Eindruck des Originals wieder, weil unter anderem durch die Benutzung von Kontrastfilm ein grobkörniger Effekt entstanden ist, der eher an ein pointilistisches Gemälde als ein Foto denken lässt.

Dies ist allerdings bezeichnend, denn ihre Bedeutung verdanken Fotografien nicht so sehr dem Umstand, dass man sie zum Feststellen von Tatsachen verwenden kann. Am ehesten lassen sie sich als Akte der Einbildungskraft charakterisieren. Die Geschichte zeigt, dass die Konstruktion der Kamera nicht einer plötzlichen Entdeckung des „Bildes der Natur“ (W.H. Fox Talbots „Pencil of Nature“) folgt, sondern dass sie als ein Hilfsmittel zur Herstellung realistischer Gemälde entwickelt wurde und dass solche Gemälde den Maßstab für die Art von Bildern abgaben, zu deren Erzeugung die Kamera entworfen worden war. Nicht nur geht die Frage, ob Fotografie denn Kunst sei, schon lange am Thema vorbei, sondern man kann sagen, die Einverleibung der Normen der Malerei durch die Fotografie ist das eigentliche Kunstereignis des 20. Jahrhunderts.

In diesem Prozess hat sich insbesondere seit den sechziger Jahren die Rolle des Künstlers grundlegend gewandelt. Der Blick des zeitgenössischen Künstlers ist im Gegensatz zur körperlichen Präsenz des Malers und seiner „Arbeit“ im Bild ent-körpert. War Jackson Pollock buchstäblich im Bild und auf der Leinwand, ist Andy Warhol der exemplarische Künstler, der nur noch entscheidet, auswählt und kombiniert. Sein fotografischer Blick ist auch ein Ausstieg aus dem Bild. Mit einem verwaltenden und strategischen Blick von der Chefetage aus – Warhols Factory hieß seit Mitte der siebziger Jahre bezeichnenderweise „The Office“ – hat er das begonnen, was die heutige Fotografie im Kunstkontext zum Großteil unternimmt, nämlich die Geschichte der Malerei fotografisch zu wiederholen und weiterzuentwickeln. Die Fotografie ist ein Produkt der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts, ein Erbe der Aufklärung sowie ein Mittel kultureller Verklärung. Die Grenze zwischen Kunstfotografie und Gebrauchsfotografie ist heute kaum mehr wirksam. Es ist gerade das Spannungsfeld zwischen beiden, das eine fruchtbare Wechselwirkung erzeugen kann. (Bsp. Wolfgang Tillmans)


Und um das fruchtbare Spannungsverhältnis zwischen Fotografie und Malerei seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zu machen, genügt es, nur ein paar berühmte Namen zu nennen: Gerhard Richter, Arnulf Rainer, Jeff Wall, Sigmar Polke, Thomas Struth. Sie alle haben auf je unterschiedliche Weise Fotografie und Malerei in eine spannende Beziehung zueinander gesetzt. Und das machen auch Klaus Binder und David Seiler mit dieser Ausstellung.


Noch vor 20 Jahren hätte man auf den ersten Blick die malerische Kunst von Klaus Binder für den fotografischen Teil der Ausstellung gehalten: Das Schwarz-Weiß dominiert, klassische Rahmen von Gemälden gibt es kaum, im Gegenteil - Rahmen und Rahmung werden problematisiert. Dass wir diese Ausstellung hier und heute und nicht vor 20 Jahren betrachten, zeigt sich nicht zuletzt an den Titeln, die Binder seinen an östlichen Themen und Verfahren wie der Kalligraphie orientierten Arbeiten gibt: Sie sind in einer Weise ironisch, wie es etwa im Abstrakten Expressionismus nie möglich gewesen wäre. Aber es liegt etwas von Objektivität in der klaren Identität eines Materials. Binder bevorzugt einfache Motive und Materialien und folgt daher dem klassisch modernen Prinzip der Reduktion. Das heißt, auch seine Bilder sind letztlich Ergebnis einer Auswahl. Viel mehr noch sind sie jedoch Folge einer Konzentration, einer auch psycho-graphischen Geste: eines entscheidenden Augenblicks. Objektiv nannte man von Anfang an das Linsensystem der Kamera und der Gedanke des entscheidenden Augenblicks ist spätestens seit Cartier-Bresson ein wichtiges Prinzip in der Geschichte des fotografischen Bildes. Wie energetisch aufgeladen Binders Graphiken auch immer sind, bei aller Körperlichkeit, die im Spiel ist, bleibt zum Beispiel der Kreis ein Schrift-Zeichen, eine Konvention bei aller Subjektivität der künstlerischen Handschrift. Ein Bild bleibt eben notwendig vermittelt, das heißt an ein Medium gebunden. Das wussten wohl die Zen-Meister, auf die Binder sich beruft wie auch ein Künstler wie Polke, der im Zusammenhang bei seinen bildnerischen Untersuchungen der Rasterpunkte fotografischer Bilder zu dem Schluss kam: „Ich bin auch nur ein Punkt.“


Linien und Kreisformen bestimmen auch die fotografische Bildwelt des Fotodesigners David Seiler. Hier ist die Linie mit Licht gezeichnet. Farbe erscheint bei Seiler malerisch. Sie gehört nicht zu den Dingen, er scheint am Leuchten der Dinge bzw. an den Leuchtspuren der Bewegung interessiert zu sein. Dabei ist ihm wichtig, dass die Kamera von seiner Hand bewegt wird. Einerseits ist das fotografische Bild prinzipiell ent-körper-licht, andererseits kommt Körperlichkeit hier nicht nur durch die Hand des Künstlers ins Spiel, sondern auch in dem Sinne, dass „Licht die Haut ist, die ich mit allen teile“, wie Roland Barthes (in „Camera Lucida“) sagte. Die Lichtquellen sind natürlich auch in hohem Maße Ergebnis einer Auswahl.

Seilers fotografische Arbeiten beziehen sich in ihrer Farbigkeit und Form auf gleich mehrere Traditionen. Da ist ein Mal die malerische Tradition der Abstraktion z. B. eines Kandinsky, die Dynamisierung des Motivs des Futurismus und die Formkonfigurationen, die an die Fotogramme eines Laszlo Moholy-Nagy oder seit den sechziger Jahren an Floris M. Neusüss erinnern. Das fotografische Bild bei Seiler folgt vor allem einem Prinzip der klassischen Moderne, nämlich dem der Abstraktion. Er bevorzugt dann auch klassische Bilder-Rahmen. Und er kann ohne Ironie von Schönheit sprechen, vielleicht weil er keine Berührungsängste vor der Popkultur kennt, die immer schon wusste, dass die Bilder lügen, aber auch, dass wir, wie es scheint, belogen werden wollen.


Und jetzt denke ich, ist es an der Zeit, sich den Bildern dieser Ausstellung zuzuwenden.